Nahversorgung für alle in der Donaustadt – Einleitung

Daseinsvorsorge und Nahversorgung sind Grundlage und Voraussetzung eines guten Lebens für alle. Als von unten vernetzte, daseins- und nahversorgende Wirtschaft bildet sie das Rückgrat jedes lebenswerten Ortes, denn zu Nahversorgung zählt nicht nur der Lebensmitteleinzelhandel, sondern insbeson­dere eine ausreichende soziale Infrastruktur und dezentrale Kulturangebote, mit und für die Menschen vor Ort, der Pflegebereich, die Kinderbetreuung, Gastronomie, Banken, Schulen, medizinische Versorgung, Erho­lung und Freizeitangebote. Nahversorgung erleichtert und ist das Leben im Stadtteil, da das Allermeiste, was regelmäßig gebraucht wird, verfügbar ist. Wirtschaften in der Nachbarschaft entschleunigt, reduziert den Zwang zur zeit- und ressourcenintensiven Mobilität und eröffnet die Chance, nur bei Bedarf (Auto-)mobil zu sein.

Nahversorgung macht mobil

Ein zentraler Ort in jedem der Wiener Bezir­ke, selbst in den kleinen, ist oftmals zu wenig, die Distanzen zu groß, für nahversorgendes Wirtschaften. Insbesondere in den großen Flächenbezirken braucht es mehr als ein Zentrum. Die historisch gewachsenen Voror­testrukturen Wiens – von Stadlau bis Sü­ßenbrunn – waren Kerne einer dezentralen Nahversorgung, die der Automobilität zum Opfer zu fallen droht. In der Donaustadt zentralisiert das private „Einkaufszentrum Kagran“ die allermeisten Nahversorgungs­funktionen und behindert eigenständige Strukturen in den vielfältigen Nachbarschaf­ten des Bezirks. Weiter verstärkt wird dies durch die Ausweitung des Onlinehandels auf Produkte des (all-)täglichen Bedarfs und das steigende Angebot an Lieferdiensten für diesen. Ausgehen heißt heute, das eigene Grätzel verlassen; Einkaufen heißt, ins Auto zu springen. Alltag findet in den eigenen vier Wänden statt, Leben woanders. Das Auto ist vielerorts zur Bedingung für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geworden. Wer es nicht besitzt oder nicht mehr benutzen kann, ist ausgeschlossen. Nahversorgung hingegen erzeugt kurze Wege und damit Inklusion für alle Menschen.

Nahversorgung bedeutet Gemeinschaft

Weil Nahversorgung attraktive Arbeitsplätze schafft, oft im unmittelbaren Lebensumfeld, wirkt sie emanzipatorisch. Wiewohl uralt, feminisiert nahversorgendes Wirtschaften den Arbeitsbegriff, indem miteinander Wirtschaften, Sorgearbeit und füreinander Sorgen zur Grundlage eines funktionieren­den Gemeinwesens wird. Dazu braucht es die passende räumliche und soziale Infra­struktur: attraktiv gestaltete, vor allem auch konsumfreie öffentliche Räume sowie die öf­fentliche Förderung von Miteinanderökono­mie, dezentraler Kulturarbeit, Parkbetreuung und Gemeinwesenarbeit. Mitgestaltungs­möglichkeiten für die Menschen vor Ort braucht politische Unterstützung; sie muss gefördert und gelebt werden. So lernen sich die Menschen vor Ort im Einsatz für ihre Sache besser kennen. Austausch fördert Gemeinschaft und baut soziale Kontrolle auf. Sicherheit, weil man sich kennt und aufei­nander schaut. Die alltägliche Integration in und Inklusion durch die Grätzlgemein­schaft ist Voraussetzung für ein menschen­würdiges, da selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter. Altern in der Gemeinschaft, nur soweit als nötig von institutionellen Betreuungsangeboten unterstützt, entlastet den Staatshaushalt und die Familie. Persönliche Kommunikation schützt vor Isolation. Reden rückt wieder in den Fokus statt Kommuni­kation über Bildschirme. Treffpunkte und Begegnungsorte machen Informationen barrierefrei für alle zugänglich. Hilfestellung und Tausch(leistungen) untereinander fehlt meistens das Preisschild.

Daseinsvorsorge und Nahver­sorgung sind Grundlage und Voraussetzung eines guten Lebens für alle.

Nahversorgung ist ressourcenschonend

Nahversorgungsangebote relativieren die Grenzen zwischen bezahlter Arbeit und ge­wollter Tätigkeit bzw. frei gewählter Aufgabe. Die Menschen haben zu ihrem Lebens­umfeld einen direkten Bezug. Eine stetige Wechselwirkung, die beidseitig positiv beein­flussen kann. Die Menschen und von ihnen geschaffene Nahversorgungsangebote regen einander an, sich mit den Dingen zu beschäf­tigen, etwas zu reparieren, etwas anzubauen, zu pflegen, zu erzeugen – wie beispielsweise in neuen Formen von Urban Farming und Gemeinschaftsgärten, von Flüchtlingshilfe und Reparaturnetzwerken, FabLabs und Ur­ban Mining. Selbst anpacken, (wieder) selbst gestalten und gemeinsam mit anderen durch eigenes Handeln etwas verändern – das ist Selbsterfahrung und -entfaltung in Verbin­dung mit der Zugehörigkeit, der Wertschät­zung anderer und dem selbst Erschaffenen, anstelle von zum Selbstzweck verkommenen Konsums. Damit einher geht gesteigerte Autonomie und Autarkie sowie Verankerung vor Ort. Nahversorgung fördert identitäts­stiftendes Gemeinschaftsgefühl.

Es geht darum, Nahversorgung und Daseinsvor­sorge vor Ort zu unterstützen und zu stärken.

Nahversorgung stärken

Der Fragestellung, wie Nahversorgung und Daseinsvorsorge vor Ort unterstützt und gestärkt werden kann, hat sich der Workshop Nahversorgung für alle in der Donaustadt gestellt. Die Donaustadt, ein Flächenbezirk der Stadt Wien, der sehr schnell wächst, wurde bewusst in den Fokus gerückt, um gemeinsam mit Verwaltung, Politik, Pla­nung, NGOs, Forschung sowie Initiativen vor Ort an konkreten Beispielen die Prob­lemfelder und Potenziale von Nahversorgung zu erörtern. Die Suche nach gemeinsamen Strategien für die Donaustadt als auch deren Übertragbarkeit auf ähnliche Stadtteile stand im Vordergrund. Einerseits ging es um zivilgesellschaftliche Strategien zur Unterstützung von Bottom-up-Pilotprojekten der Aneignung von und Teilhabe am Leben in der Stadt. Andererseits um Strategien der Kommunalpolitik und Stadtplanung, mithilfe derer dysfunktionale (Infra-)Strukturen – insbesondere in der Mobilität, als Folge des Fiskalpakts und Liberalisierungsrichtlinien – zurückgebaut und geeignete räumliche, soziale und kulturelle Infrastrukturen und Institutionen geschaffen werden können. Um im Zusammenspiel beider dauerhaft Routinen, Produktions- und Lebensweisen hin zu einer sozialökologischen Transformation zu verändern und damit den Zu­sammenhalt in der Gesellschaft stützen und stärken zu können.

Im Februar 2017 als gemeinsamer Beitrag mit Andreas Novy, leitet das Institute for Multi-Level Governance and Develop­ment am Department Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, im Werkstattbericht 173 Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung – Herausforderungen und Gestaltungsräume für Städte und Regionen erschienen, als Dokumentation zum Gutes Leben für alle Kongress.

Siehe auch: Nahversorgung für alle in der Donaustadt – Initiativen