Wissen als soziales Phänomen


Anschaulich zu zeigen, wie Communities of Practice verschiedene Organisationsformen fördern können, war der Fokus meiner Einstiegsrede für ein Training bei G+D.

Kommt mit mir in die Weltbank. Stellt euch vor, ihr seid zur Jahrestagung der Weltbank eingeladen und aufgefordert eine Stunde früher da zu sein. Ihr kommt an und betretet das Atrium der Weltbank in Washington D.C. Was erwartet ihr? Einen riesigen Raum aus Glas, Stahl und Beton, Charts mit Zahlen und Finanzdaten – und irgendwo darin einen Empfang, an dem ihr euch für die Tagung anmeldet?

Nichts von alledem. Ihr tretet in einen lebendigen Raum voller Menschen. Eine Messe. Gruppen stehen um Tische, plaudern vor Ständen. Auf einer Fahne steht »Biodiversität«, auf einer anderen »Gender in der ländlichen Entwicklung«. Links von euch hängt ein Banner: »Informationssysteme in der Landwirtschaft«. Einige Stände locken mit auffälligen Exponaten, wie . Wie von selbst werdet ihr von Stand zu Stand gezogen, ihr hört wie Leute von Erfolgen, Initiativen und geplanten Projekten berichten. Noch immer ist keine Finanztabelle in Sicht.

Die Zeit verfliegt. Und während ihr euch auf den Weg zur Eröffnungssitzung macht, habt ihr bereits mit engagierten Menschen aus aller Welt über viele Themen gesprochen. Denn ihr wart gerade auf der Wissensmesse der Weltbank, wo die Communities of Practice (CoPs) ihre Arbeit vorstellen.

Mit Wissen und Geld bekämpft die Weltbank Armut – unterstützt von Communities of Practice, die Mitarbeitende, Kund:innen und externe Partner:innen zusammenbringen.

Zunächst regte sich Widerstand gegen die Idee, im ehrwürdigen Atrium der Weltbank eine so unberechenbare Veranstaltung wie eine Messe abzuhalten. Doch 1998 fand die erste Messe statt – und wurde ein durchschlagender Erfolg. Die Besucher:innen berichteten, sie hätten dort mehr gelernt als durch formelle Vorträge oder Veröffentlichungen. Seitdem sind diese Messen fester Bestandteil großer Veranstaltungen der Weltbank.

1996 hatte diese Idee ihren Durchbruch, als der Präsident die Weltbank zur Wissensbank erklärte.

Die ersten Initiativen verfolgten drei Ziele:

  • ein Klassifizierungssystem für die Wissensressourcen der Bank zu schaffen,
  • zentrale Helpdesks für Anfragen einzurichten und
  • eine bessere Technologieplattform für die globale Vernetzung der Mitglieder aufzubauen

1997 begann man gezielt informelle Gruppen zu fördern. Man nannte sie »Thematische Gruppen« und unterstützte sie strategisch. Diese Gruppen wurden zum Schlüssel für den Erfolg des Wissenssystems: Sie vernetzten Menschen und stärkten Communities of Practice.

Wie schnell und effizient Wissensaustausch zu einer Lösung führen kann, zeigt folgendes Beispiel: Ein Teamleiter aus dem Jemen wandte sich an den Helpdesk für Bildung, weil ein Kunde wissen wollte, wie man ein Informationssystem für Bildungsdienste entwickelt. Der Helpdesk fragte eine bestehende Community of Practice um Rat. Deren Mitglieder kamen zu dem Schluss, dass die wertvollsten Erfahrungen aus Kenia stammten. Sie sammelten relevante Unterlagen, analysierten die Stärken und Schwächen des kenianischen Ansatzes und schickten alles an den Teamleiter. Innerhalb von 48 Stunden saß dieser mit dem Kunden zusammen, um das Problem zu lösen.

Trotzdem hatte ein Organisationsteam die konservativen Banker überzeugen müssen, dass es nicht nur auf Geld, sondern auch auf Wissensmanagement ankommt. Besonders der Vorschlag, informelle Gemeinschaften einzubeziehen, war provokant. Doch deren Praxisberichte überzeugten, weil sie Probleme UND Lösungen zeigten. Das Organisationsteam erkannte: Wissensaustausch funktioniert am besten, wenn Fachleute regelmäßig zusammenkommen, Wissen teilen und gemeinsam Probleme lösen.

Informeller Wissensaustausch bei Chrysler

Der Automobilkonzern Chrysler war früher [Jahreszahl] in Silos in funktionalen Einheiten organisiert und brauchte fünf Jahre, um ein neues Produkt zu entwickeln. Die japanische Konkurrenz schaffte das in drei Jahren.

Chrysler reagierte, stellte sich neu auf und verkürzte den Entwicklungszyklus auf zweieinhalb Jahre, indem es die Forschungs- und Entwicklungskosten senkte. Doch neue Probleme traten auf:

  • Mehrere Varianten desselben Teils mit minimalen Unterschieden,
  • Unkoordinierte Zusammenarbeit mit Lieferant:innen
  • Innovationen, die sich nicht durchsetzten
  • Wiederholte Fehler.

Zwar profitierte die Firma von einem stärkeren Produktfokus, verlor jedoch die Fähigkeit, aus eigenen Erfahrungen zu lernen.

Etwas musste geschehen, um die Plattformidee zu retten. Dafür war Kommunikation unverzichtbar: Ehemalige Kolleg:innen aus verschiedenen Abteilungen begannen, sich informell auszutauschen. Die Manager bemerkten dies, formalisierten die entstehenden Wissensgruppen jedoch nicht in einer neuen Matrixstruktur. Stattdessen hielten sie die Treffen informell, unterstützten sie aber aktiv. So entstanden die Tech Clubs – Vorläufer dessen, was man heute als Community of Practice kennt.

Peter M. Senge, Vorsitzender der Society for Organizational Learning, sagt: Man kann eine Gruppe von individuell intelligenten Menschen haben, aber solange die Gruppe nicht weiß, was sie gemeinsam weiß, ist die Gruppe selbst nicht intelligent.

Ohne Gemeinschaften, die sich auf kritische Bereiche konzentrieren, fällt es schwer, mit dem raschen Wandel Schritt zu halten. Die wachsende Komplexität des Wissens verlangt mehr Spezialisierung und Zusammenarbeit, während die Halbwertszeit des Wissens stetig abnimmt (Wenger, E., et al., 2002).



Diese Rede zu Communities of Practice bereitete ich 2022 für das Modul Leading Change auf, als Teil des »Group Wide Talent Programs«-Training für G+D, Giesecke+Devrient – für das mich Kathrin Leppla von LECO Leppla Consulting Coaching ins Trainer:innen-Team geholt hatte. Für ein späteres Training 2024 bereitete ich die Geschichte der iOS Community of Practice von G+D Netcetera auf.

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