Dieser Beitrag ist Teil des Projektes »EMCY – Enabling migrants to cycle«.
Wie erreichen wir Migrant:innen mit Umfragen? Ein Ziel von EMCY ist es, Erhebungsmethoden auszuprobieren, um Migrant:innen anzusprechen, die in Befragungen oft zu kurz kommen. Dafür haben wir die Umfragen in Workshops zum Radfahren integriert oder mit Radfahrkurs verknüpft und lokale Kooperationspartner:innen gewonnen.
Ein Innenhof in der Kalvarienberggasse in Hernals. Tadej Brezina und ich stehen mit Stadtrad und Faltrad bereit – wir sind beim praktischen Teil des Workshops. Die Teilnehmer:innen bilden einen Halbkreis vor uns. Ich frage: »Was fehlt noch? Was braucht ein Fahrrad für den Straßenverkehr?« – »Eine Klingel!« ruft jemand. Eine Teilnehmerin klebt den Begriff »Klingel« an die Klingel meines Stadtrads.
Nun haben wir alles Wichtige besprochen, damit die Polizei bei einer Kontrolle nichts zu beanstanden hat. Jetzt zeigen wir weitere Begriffe, die nützlich sind. Die Teilnehmer:innen dürfen sie ans Fahrrad kleben.
Foto Fahrrad
Sanderien Verstappen, Teil des Projektteams, beobachtet den Workshop und macht sich Notizen. Die Leitung durch uns beide – Mann und Frau auf Augenhöhe – ist gut gewählt. So fühlen sich alle angesprochen.
Die Frauen sind nicht zu stoppen
Schauplatzwechsel: Wir kommen am Ufer der Neuen Donau an, direkt neben dem Motorikpark in der Donaustadt, dem 22. Bezirk. Die Sonne scheint, und die Frauen sind schon da und haben sich bereits im Schatten eines Baumes versammelt. Sie freuen sich auf den Radfahrkurs. Zunächst stellen wir das Projekt EMCY vor und verteilen die Fragebögen. Eigentlich wollten wir die Bögen gemeinsam durchgehen, Frage für Frage. Doch die Frauen sind so eifrig, dass sie sofort mit dem Ausfüllen beginnen. Viele greifen zum arabischen Fragebogen, einige wählen die deutsche Version. Bis auf eine Frau tragen alle ein Kopftuch. Ihr Alter variiert ….
Jetzt übernehmen die Radfahrlehrer:innen von Schulterblick. Nach der Begrüßung stürzen sich die Frauen voller Eifer auf die Räder. Selbst jene, die kaum oder gar nicht fahren können, versuchen es sofort. Ein Schwerpunkt von »Schulterblick – Die Radfahrschule« sind Radfahrkurse für Volksschulklassen. Die Kinder sind oft begeistert, doch heute übertreffen die Frauen alles. So viel Engagement haben die Radfahrlehrer:innen selten erlebt. Als sie Pausen vorschlagen, winken die Frauen ab. Eine kurze Verschnaufpause auf dem Rad genügt ihnen – trotz der fast drückenden Hitze.
In der Abschlussrunde fragen die Radfahrlehrer:innen: »Wer möchte weiter Radfahren lernen?« Fast alle Hände schnellen in die Höhe (Foto). Eine Frau beschließt noch während des Radfahrkurses, sich am nächsten Tag ein Fahrrad zu kaufen. So groß wie ihr Engagement ist auch ihre Dankbarkeit, die sie uns entgegenbringen.
Am Rand beobachtet eine Frau mit Rollator den Kurs. Sie kennt viele Teilnehmerinnen und füllt ebenfalls unseren Fragebogen aus. Ihr Deutsch ist gut, und sie möchte Radfahren lernen – allerdings bräuchte sie dafür ein Vierrad oder ein mehrspuriges Fahrrad.
Patriarchale Märchen aus Afghanistan
Schauplatzwechsel: zweiter Bezirk, Piramidops Frauentreff. Ich sitze im Erdgeschosslokal, umgeben von Frauen aus Afghanistan. Gemeinsam füllen wir einen Fragebogen auf Farsi aus. Wir haben Arabisch auch dabei. Die Kursleiterin erklärt mir, dass die meistgesprochene Sprache in Afghanistan Paschtu ist, in unseren Projektrecherchen ist uns diese Sprache nicht untergekommen.
Nach dem Ausfüllen des Fragebogens sprechen wir gemeinsam über das Radfahren. Die Kursleiterin Amina übersetzt. »Habt ihr als Kinder Radfahren gelernt?«, frage ich. Viele nicken – bis zum Alter von sieben Jahren durften sie fahren, dann war es ihnen als Mädchen verboten. Amina zögert, bevor sie das übersetzt. Es ist ihr unangenehm, sie schämt sich. Eine Frau erzählt, ihre Mutter habe ihr immer gesagt: Wenn sie Rad fährt, verliere sie ihre Unschuld. Fast alle Frauen wollen gern einen Radfahrkurs machen.
In Afghanistan gehen derzeit keine Mädchen zur Schule – die Taliban regieren. Früher, erzählen die Frauen, besuchten sie teils die Schule, teils hielten familiäre Pflichten sie davon ab: Sie mussten sich um die Familie kümmern oder lebten auf dem Land, wo es keine Schulen gab.
Wir danken unseren Kooperationspartner:innen:
dem Verein Piramidops/Frauentreff in der Leopoldstadt, der uns ermöglichte,
unsere Befragung im Rahmen der Basisbildungskurse von LevelUp durchzuführen.
Ebenso danken wir dem Verein you-are-welcome / PIR in Hernals und Fremde werden Freunde mit denen wir zum Radfahrkurs einluden, den Schulterblick – Die Radfahrschule im
Auftrag von EMCY durchführte. Und wir danken der Mobilitätsagentur Wien, dafür das wir die Fahrräder vor Ort kostenlos für den Radfahrkurs nutzen konnten.
Dieses Projekt wird aus Mitteln der FFG gefördert. www.ffg.at

Autorin: Beatrice Stude
Fotos von Helen Vaaks und Beatrice Stude.