Fort-Bewegung. Kriterien der Zukunftsfähigkeit: Wien – Kopenhagen

Es ist Sommer, aber es regnet. Doch das macht den gemeinen Kopenhagener Radfahrer*innen nichts aus. Ausgerüstet mit Regenjacke wird dem Wetter mit einem Lächeln getrotzt – das ist an der Küste so. Und wem es doch zu nass wird, der ruft sich ein Taxi. Vom Regen überrascht muss man deswegen nicht den geliebten Drahtesel einsam irgendwo zurücklassen. Die Taxifahrer*innen haben sich schon auf ihre Kund*innen eingestellt und immer ein Fahrradgestell zur schnellen Montage an den Kofferraum dabei. Selbst der beliebte Kronprinz von Dänemark bringt seine Kinder mit dem Fahrrad zum Kindergarten, berichten einschlägige Zeitschriften bis in die Frisörsalons Wiens. Der ein oder die andere wird sich jetzt fragen wie man zwei Kinder auf einem Fahrrad unterbringt?

Ganz einfach auf einem Christiania- oder Niholabike zum Beispiel – auch Lastenräder genannt. Einem, wenn man so will umgekehrten Dreirad. Statt Vorderrad hat man vor der Lenkerstange einen Wagen mit seitlichen Rädern. Mal schlicht und praktisch, mal durchgestylt prägen sie das Stadtbild. Damit werden die Kleinen vom Kindergarten abgeholt, der Einkauf nach Hause transportiert oder die Freundin des abends durch die Innenstadt chauffiert, der Nutzungsmöglichkeiten gibt es hier viele.

Ist das die Besonderheit der dänischen Hauptstadt? Nein auch außerhalb Kopenhagens, auch in relativ kleinen Städten findet man vom anderen Verkehr getrennte Radwege und prägen Fahrräder das Straßenbild. Und weiter südlich in Norddeutschland, zum Beispiel in Kiel gibt es neben den Radwegen auch Straßen, auf denen dem unmotorisierten Zweirad der Vorrang eingeräumt wird – Fahrradstraßen, gekennzeichnet durch große überdimensionale weiße Kreise mit darin abgebildeten Fahrrädern auf dem Asphalt. Werfen wir einen Blick auf Wien und ziehen wir Vergleiche:

Wien – Kopenhagen: ein Vergleich

36 Prozent Radanteil am Verkehr in Kopenhagen stehen fünf Prozent in Wien gegenüber und werfen Fragen auf. Radfahren wird vor allem vom Wetter beeinflusst. Im Vergleich zu Kopenhagen scheint die Sonne in Wien etwas länger, regnet es weniger und ist es durchschnittlich wärmer. Gut dafür ist es im Winter dann auch ein bisschen kälter. Die Topographie im Norden ist sehr radfreundlich. Aber auch Wien ist es vor allem in den einstelligen Bezirken nicht gerade bergig. So liegt zum Beispiel der Stephansdom 15 Meter über Wiener Null, vor Schloss Schönbrunn sind 33 Meter, am Riesenrad im Prater 4 Meter und vor der Volksoper 24 Meter.

Klima und Gelände können somit nicht die Ursache für die großen Unterschiede des Umgangs mit dem Verkehrsmittel Rad sein. Der Städtebau und die hierdurch erzeugte Dichte schon eher. Da sie doch das Ausmaß der Flächen des öffentlichen Raumes bestimmen. Mit 1,7 Millionen Einwohner*innen, somit der mehr als dreifachen Einwohnerzahl Kopenhagens, hat Wien rund fünfmal soviel Fläche wie Kopenhagen. Demnach wohnen in Kopenhagen 5.600 Einwohner*innen pro Quadratkilometer während es in Wien »nur« 4.000 sind. Allerdings ist die Bevölkerungsdichte nicht immer aussagekräftig im Vergleich zweier Städte, da Wald- und Gewässeranteil den Durchschnitt verzerren. Im dichtesten Bezirk Wiens – Margareten wohnen rd. 26.000 Einwohner auf einem Quadratkilometer. In Kopenhagen sind dies in Nørrebro rd. 19.000. Im zweitdichtesten Bezirk Wiens, in Josefstadt sind es rd. 22.000 hingegen in Bispebjerg in Kopenhagen nur noch rd. 9.000. Demnach ist Wien doch bei weitem dichter bebaut und hat demnach weniger öffentlichen Raum in den innerstädtischen Stadtteilen. Somit könnte man schlussfolgern das Platzmangel wohl der Hauptgrund für die angespannte Verkehrssituation ist.

Doch wie heißt es so schön: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“ Schließlich hat sich Kopenhagen nicht aus Überfluss an Verkehrsraum für die Ausrichtung auf den Radverkehr entschieden. Es gab viel schlagendere Argumente dafür. Die tägliche Bewegung der Leute und damit einhergehende Verbesserung ihrer Gesundheit. Die Verringerung der Emissionen – Lärm, als auch Abgase – in der Stadt im Zuge der Umverteilung von motorisiertem auf muskelbetriebene Verkehrsmittel. Und somit auch eine Entlastung des Staatssäckls, wer gesünder ist und bessere Luft atmet braucht weniger medizinische Versorgung – eine so genannte win-win-Situation. Statt die Hände in den Schoß zu legen und in Wien zu sagen wir haben keinen Platz, haben die Planungsverantwortlichen ohnehin schon die Wichtigkeit erkannt – leider fehlt Ihnen noch der politische Rückenwind, Lippenbekenntnisse sind hier nicht ausreichend. Außerdem ist die Autolobby im Süden eine größere, das Auto ist noch Statussymbol während es anderswo im städtischen Verkehr bereits häufig auf das was es ist reduziert wird – eines der möglichen Fortbewegungsmittel.

Im Norden wird anders geplant

Aber auch im planerischen Zugang sind zwischen Kopenhagen und Wien große Unterschiede erkennbar. Während in Kopenhagen für die Radfahrer*innen eigene vom anderen Verkehr – auch Fußgänger*innen und Busverkehr – vollkommen getrennte Wege geschaffen wurden, mischt man in Wien noch fleißig, aber teilweise leider halbherzig. Denn wie lassen sich Räder auf Busspuren vor allem des nächtens mit hohem Taxiverkehr vereinbaren? Und Mehrzweckstreifen, die den Autofahrer*innen zu wenig Platz und demzufolge auch dem Radfahrer den Raum einengen, statt ein gleichberechtigtes hintereinander zu ermöglichen?

Auch findet man die dem Norden nachgesagte Zurückhaltung und Nüchternheit im Straßenraum Kopenhagens wieder. Übersichtlich- und Geradlinigkeit macht es auch Fremden leicht, die für ihr Fortbewegungsmittel vorgesehenen Bereichen zu finden. Außerdem ist der öffentliche Raum angenehm leer von Hinweisschildern mit Ge- und Verboten. Mit der Beschränkung auf das Wesentliche, die der Sicherheit dienenden Maßnahmen, die auch gern mehr als stark unterstrichen werden wie zum Beispiel die Blaueinfärbung der Radwege im Kreuzungsbereich, wird in anderen Bereichen auf sehr geringfügige Hinweise zurückgegriffen wie zum Beispiel des kleinen gelben Dreiecks auf der Bordsteinkante, das den zulässigen Parkbereich vor einer Kreuzung absteckt. Wiens Schilderwald gleicht des öfteren vor allem für Radfahrer*innen eher einem Hindernisparcours. In dessen Dichte kaum die angezeigten Ge- und Verbote noch wahrgenommen werden können.

Werben und Vorleben

Und wie ist das Bewusstsein in der Bevölkerung? In Kopenhagen hat die Nutzung des Rades von der königlichen Familie wohl nicht unwesentlich zum Beliebtheitsgrad des Fahrrades bei und stellt in seiner Wirkung wohl jede noch so einprägsame Marketingkampagne in den Schatten. Und dennoch hat man sich auch in Kopenhagen für eine intensive Bewerbung des umweltfreundlichen Verkehrsmittels entschieden. Denn dort hat man noch nicht genug – 50 Prozent Radanteil am Verkehr 2015 sind das nächste Ziel. Man schaut auch auf Qualität und strebt ebenfalls bis 2015 an, dass sich 80 Prozent als Radfahrer*innen im Verkehr wohl fühlen. Marketingkampagnen gab es einige in Wien.

Doch mehr Einfluss als ein Foto mit einem Prominenten hätte wohl das Erlebnis ihr oder ihm im Alltag auf dem Rad zu begegnen. Einen bekannten Vorreiter gibt es – Umweltminister Niki Berlakovich. Nun sein Posten schreit ja geradezu danach. Aber die beliebten und bekannten Bürger*innen dieser Stadt, ob aus Amt und Würden oder Funk und Fernsehen lassen sich noch nicht auf ihren Drahteseln sehen. Die derzeit angestrebten acht Prozent Radanteil am Verkehr 2015 werden höchstwahrscheinlich schneller und ohne viel Zutun übertroffen. Es ist an der Zeit seitens der Stadt angemessen zu reagieren und hier entscheidende Maßnahmen mit Weitblick zu setzen. Und die angekündigte faire Verteilung des Straßenraumes vorzunehmen.

Mobilität und Verkehr sind Teil der Lebensqualität. Nach der neuesten Studie von Mercer, in der jedes Jahr die Lebensqualität von 215 Städten bewertet wird, hat es Wien endlich geschafft – Platz 1. Kopenhagen bleibt nur der 11. Platz. Allerdings gibt es noch eine Begleitstudie bezüglich Infrastruktur und hier sieht es umgekehrt aus. Wien landete auf dem 18. und Kopenhagen auf dem 3. Platz. Bleibt abzuwarten ob die Wienbewohner*innen in ihrem Alltag diese hohe Lebensqualität wieder finden. Vielleicht sind auch die Kriterien für die Einschätzung von Lebensqualität erneuerungsbedürftig?

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