Muss es immer ein Kampf sein?

Eine Gstetten reserviert für die Allgemeinheit – für alle – als Ergebnis des Stadtentwicklungsprozesses mit Masterplanwettbewerb. Damit ist alles auf Schiene. Wohl kaum.

Denn die «Freie Mitte» am Nordbahnhof ist in Gefahr ihres einzigartigen Charakters beraubt zu werden. Ein Blick zum «Park am Gleisdreieck» in Berlin zeigt Parallelen auf, Parallelen, die sich in Wien nicht wiederholen sollten.

Der grobe Rahmen und die Prinzipien für die Gestaltung sind im Handbuch zum städtebaulichen Leitbild Nordbahnhof << Freie Mitte – vielseitiger Rand >> dargelegt. Doch es fehlen noch die Details, es ist Neuland für alle – eine andere Freiraumplanung notwendig – ein Ausverhandeln bestenfalls. Die Gestaltung soll möglichst Gstetten-Charakter behalten, das wünschen sich viele Menschen vor Ort, die die Freifläche bereits nutzen. Kostensparende Gestaltung statt einem klassischen Park ohne Verbindung zum Ort und seiner Geschichte. Das passt auch zum immer knapper werdenden Budget der Stadt. So hat der als klassischer Park errichtete Rudolf-Bednar-Park im Nordbahnviertel rund 177 Euro pro Quadratmeter gekostet.

Eine naturbelassene Gestaltung der «Freien Mitte» dürfte laut Handbuch mit circa 70 Euro am Quadratmeter auskommen.

Während der Abendveranstaltung «Freie Mitte – Neue Wege in der Freiraumplanung» in der Nordbahn-Halle am 14. September 2017 wurde bekannt, das am selben Tag nur wenige Meter neben der Nordbahn-Halle in der künftigen «Freien Mitte» bereits gegenläufige Tatsachen geschaffen worden waren. Bagger hatten den Skaterplatz ALMdiy weggeräumt, veranlasst durch die Grundeigentümerin, die ÖBB. Unwiederbringlich. Ein Schock, der sich wie eine Lähmung auf viele Anwesende der Veranstaltung, inklusive der Bezirksvorsteherin ausbreitete. Denn viele wollen hier etwas für und – wo möglich – mit den Menschen vor Ort schaffen. Der Skaterplatz, über den bereits eine Baustraße gehen sollte, die der Bezirk mit verhindert hatte. Der Skaterplatz, der in der «Freien Mitte» lag, von engagierten Menschen gebaut, der europaweit seinesgleichen suchte. Rund 165.000 Euro weggeräumt, soviel kostet in etwa der Bau eines neuen Skaterplatzes. War dies der Auftakt? Der Auftakt für die Freimachung des Grundstücks zur Übergabe an die Stadt? Der Skaterplatz, wenn auch nicht explizit Teil des Leitbildes, steht hier stellvertretend für die vielen Besonderheiten der Gstetten. Die «Freie Mitte» ist in Gefahr, Stück für Stück ihrer Einzigartigkeit beraubt zu werden.

Noch ist der Grund im Eigentum der ÖBB, die Anwesenden erscheinen an dem Abend machtlos. Allerdings ist es noch gar nicht so lange her, als die «Freie Mitte» durch Planungen der Stadt, genauer gesagt der Magistratsabteilung 48, für einen neuen Mistplatz verkleinert werden sollte. Diese nachträgliche Planänderung scheint nach Stellungnahme des Bezirks und medialem Protest der Menschen vor Ort wieder vom Tisch zu sein. Beides wirft die Frage auf: Welche Strukturen braucht es, dass der vorliegende Masterplan mit Bürgerbeteiligungsprozess – ausverhandelt zwischen den Menschen vor Ort, der Stadtpolitik und der Stadtverwaltung bei dem auch die ÖBB als Eigentümerin von Anbeginn eingebunden war – als bindende Vereinbarung bei allen ankommt und eingehalten wird? Bei allen Abteilungen und Konzerntöchtern der ÖBB, als auch bei allen Magistratsabteilungen und Tochterunternehmen der Stadt Wien.

Und nicht nur bei diesen, sondern auch an alle (künftigen) Beteiligten verbindlich weitergegeben wird, die die Ränder der «Freien Mitte» bebauen werden, sodass diese ihre Baustraßen, Lagerplätze und alles was es sonst noch braucht, außerhalb dieser unterbringen und die «Freie Mitte» wie einen fertigen Park behandeln, der nicht angetastet wird. Wie kann der bereits vorhandene Wert der «Freien Mitte» allen verdeutlicht werden, sodass allseits Sorgfalt im Umgang mit ihr vorherrscht?

Wenn so ein Ereignis, wie das Wegräumen des Skaterparks, im Stadtentwicklungprozess passiert, fühlt es sich an wie ein Rückschlag. Dann wenden viele gern einen sehnsuchtsvollen Blick zu guten umgesetzten Beispielen, wie dem «Park am Gleisdreieck» in Berlin. Wenn auch mit seinen 26 Hektar etwas mehr als doppelt so groß, hat er doch viele Parallelen. Intensiv genutzte Flächen, wie Skaterpark und Ballfeld, als auch naturnahe von menschlicher Nutzung weitgehend frei gehaltene Flächen mit an die Historie des Ortes erinnernden alten Gleisen und Ruhe für Flora und Fauna mitten in der Stadt.

Vor einigen Wochen saß ich dort, mitten in Berlin bei Paul und Paulas, einem Café-Kiosk im ehemaligen Stellwerk im «Park am Gleisdreieck» mit Blick auf den Skaterpark und das Basketballfeld. Traumhaft! Doch wer hier verweilt, dem entgehen kaum die Schautafeln zur Entstehung des Parks. Es war ein Kampf der Menschen vor Ort gegen „eine Autobahn, einen Busbahnhof, die Bauruine des größten Riesenrads der Welt und noch mehr Bauflächen“, der vier Jahrzehnte währte. Warum haben sich die Menschen vor Ort engagiert? „Aus Begeisterung für die ungeplante, aber höchst lebendige und vielfältige Pflanzen- und Tierwelt der ehemals eisernen Bahnlandschaft.“

Auszug aus den vier Jahrzehnten Bürgerengagement:

  • 1978 Bürgerinitiative klagt gegen Autobahn
  • 1988 Autobahn aus Flächennutzungsplan gestrichen
  • 1992 Absage des Parks, Zusage für die Baulogistik Potsdamer / Leipziger Platz
  • 1993 Protestpicknick von 500 Anwohnern gegen die Absage des Parks und gegen die Einrichtung der Baulogistik
  • 1995 – 1998 IG Gleisdreieck klagt gegen Bebauungspläne, weil aus ihrer Sicht deren Ausgleichsflächen nicht ausreichend abgesichert sind, Senat legt neuen Flächennutzungsplan vor (FNP, der bis heute gültig ist), mit Verweis auf diesen weist das Gericht 1998 die Klage ab
  • 1998 Proteste gegen Rodungen
  • 1998 Abriss des Stadtbahnviaduktes, IG Gleisdreieck und die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz verlieren Klage gegen den Bau des Parkhauses für die Investoren am Potsdamer Platz
  • 2001 Senatsverwaltung legt neuen Plan fürs Gleisdreieck mit zwei neuen Bauflächen, die nicht im FNP vorgesehen sind, und der Verdopplung einer bestehenden Baufläche vor
  • Frühjahr 2007 das Konzept der Bürgervertreter zur behutsamen Parkentwicklung wird in der projektbegleitenden Arbeitsgruppe von der Senatsverwaltung und der Grün Berlin GmbH abgelehnt
  • Winter 2007/2008 Abräumen der Bäume und Bodenaustausch

Park am Gleisdreieck

Seinen bezeichnenden Namen erhielt das Gelände des heutigen Parks noch im Kaiserreich, als hier zwischen dem Potsdamer und dem Anhalter Bahnhof ein beeindruckendes Gewirr aus Schienensträngen entstand.

Die riesige Anlage wurde dann im 2. Weltkrieg zerstört und fiel im Niemandsland zwischen den beiden deutschen Staaten dem Vergessen anheim. Erst Mitte der 1970er Jahre wurde dieses Stück urbane Wildnis von Initiativen wiederentdeckt und nach langer Diskussion mit intensiver Bürgerbeteiligung als neuer, vielleicht urbanster Park der grünen Metropole neu erbaut.

Auf dem modernen 26 ha umfassenden Areal finden sich heute Anlagen für Jogger und Radler, für Skater und Basketballer, für Boule- und Tischtennisspieler. Und natürlich warten hier auch zahlreiche Spielplätze und Cafés auf Besucher. Auf der Tribüne vor der großen Liegewiese kann man hier an lauen Sommerabenden wunderbar die Sonne hinter der Hochbahn versinken sehen oder beim Parkfest am Beginn eines goldenen Berlines Herbstes die tollen Bands genießen.

Infotafel am Parkeingang

Am Ende – nach vier Jahrzehnten Bürgerengagement – siegte die Zivilgesellschaft, die Menschen, die hier leben. Doch vieles ging verloren. „Viel zu viele historische Spuren der Bahntechnik und des wild gewachsenen, ökologisch wertvollen Grüns wurden … bei der Umgestaltung zur ges(ch)ichtslosen Grünfläche beseitigt … .“

Der << Park am Gleisdreick >> ist ein Beispiel aus Berlin für Entscheidungs- und Planungspolitik, die zunächst an den Menschen vorbei ging. Die Anstrengungen der BerlinerInnen um die Freihaltung des Tempelhofer Feldes ein weiteres aus der jüngeren Vergangenheit.

Zurück zu Wien. In welchem Auftrag soll hier eine Stadtverwaltung, eine Stadtpolitik und ein Bahnkonzern, der zu 100 Prozent im staatlichen Eigentum ist, agieren? Im Sinne der Gesellschaft, der Menschen, die hier leben – um nicht den Ausdruck «im Sinne des Volkes» bemühen zu müssen. Doch so oft richtet sich das von außen erlebbare Ergebnis der internen oft vielschichtigen Entscheidungsprozesse und -ketten gegen die Interessen der Menschen und gegen ihr Wohl, sodass diese sich oft zur Wehr setzen. Muss es immer ein Kampf sein?

Warum nicht einmal die vorgegebene Richtung einhalten, wie sie beispielsweise im Masterplan beziehungsweise zugehörigem Handbuch «Freie Mitte – vielseitiger Rand» festgeschrieben ist? Warum nicht Potentiale, wie beispielsweise der Skaterpark, die im Prozess erkannt werden noch mit aufnehmen?

Warum nicht einmal die EntscheidungsträgerInnen und die Menschen vor Ort auf Augenhöhe, den stattgefundenen Beteiligungsprozess wieder aufnehmen und für das Ausverhandeln der wichtigsten Details fortführen?

Warum nicht Aufhören Beispiele wie den «Park am Gleisdreieck» in Berlin als gutes Beispiel zu zitieren. Oder dies zumindest differenziert zu tun: Eine attraktive, teils naturbelassene und teils gestaltete Freifläche nach den Bedürfnissen der Menschen, die dort leben. JA! Sehr nachahmenswert. Der Weg dorthin ein langwieriges Ringen, ein Kampf bei dem Vieles der Geschichte des Ortes verloren ging. NEIN! Dieser Weg kann wohl kaum als Vorbild dienen.

Es wäre einmal etwas anderes, die immer wiederkehrenden Muster in der Stadtentwicklung zu durchbrechen und es anders zu machen. Stadt für und mit den Menschen vor Ort zu gestalten. Wien hat die Chance dies bei der «Freien Mitte» anders – besser – zu machen und den hier gut begonnenen Prozess fortzuführen.

Im Mai 2018 in ‘Der abgestellte Bahnhof – Das Wiener Nordbahnhofgelände und die Freiheit des Raumes‘ erschienen im Falterverlag.
Im November 2017 auf ‘Lebenswerter Nordbahnhof‘ veröffentlicht.