Sozial verträgliche Bodennutzung – weit mehr als leistbarer Wohnraum

Wer derzeit eine Wohnung sucht, bekommt vielleicht auch einmal schlaflose Nächte. Denn die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in Wien ist groß. Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Ist es jedoch erst einmal abgedeckt, rücken wieder andere Lebensbereiche in den Fokus wie: Arbeit zu haben, die Versorgung mit Nahrung, Kultur, Bildung, wie auch mit Freizeit-, Sport- und Erholungseinrichtungen. Eine Aufgabe zu haben und damit Einkommen zu erwirtschaften ist derzeit Voraussetzung, um das eigene Leben und damit den eigenen Wohnraum bezahlen zu können. Wie viel Zeit wir zur Arbeit benötigen, hat direkte Auswirkungen auf unsere Lebensqualität. Denn kurze Alltagswege schenken uns Lebenszeit und sparen Geld. Beides schenkt uns mehr Freiheit zu entscheiden, wie viel Zeit wir bezahlter Arbeit nachgehen wollen, statt es einfach nur zu müssen. Mobilitätskosten sind, neben den Wohnkosten, ein wichtiger Teil unserer Lebenshaltungskosten. Kurze Wege haben einen weiteren positiven Effekt: Sie nehmen den Druck vom Boden. Denn weniger Verkehr und die Verlagerung zu Fuß- und Radverkehr bedeutet weniger Flächeninanspruchnahme.

Tagtäglich werden seit über zehn Jahren im Schnitt 20 Hektar Boden „verbraucht“, ein Großteil davon für Bau- und Verkehrsflächen. Bildlich gesprochen asphaltieren wir jeden dritten Tag mehr als die Fläche des Augartens in Wien zu. Und das, obwohl nach Schätzungen des Umweltbundesamtes 50.000 Hektar Fläche brachliegen – leerstehende Industrie- und Gewerbefläche, wie auch Wohnimmobilien. Ungenutzte Fläche, die um ein Fünftel größer ist als die Gesamtfläche von Wien. Boden ist kein Konsumgut. Fruchtbarer Boden ist eine endliche Ressource – unsere Lebensgrundlage. Daher setzt sich der Verein RASENNA – Boden mit Zukunft seit Jahren für einen anderen, einen ökologisch achtsamen und sozial verträglichen Umgang mit Grund und Boden ein.

„Sozial verträgliche Bodennutzung braucht Vielfalt in Mechanismen und Struktur. Nur so kann eine vielfältige Nutzung und damit einhergehend auch Teilhabe für viele Menschen gesichert werden.“

Die Versorgung mit hochwertiger Nahrung ist essenziell zum Leben und meint nicht den Supermarkt um die Ecke, sondern das Feld – den Boden –, auf dem die Lebensmittel dafür wachsen können. Doch die Nutzungen des Bodens werden gegeneinander ausgespielt. Bauland wird ökonomisch weitaus höher bewertet als fruchtbarer Boden. So erging es auch Ge(meinsam) La(ndwirtschaften) Ochsenherz, einer solidarischen Landwirtschaft, der infolge von Baulandwidmung die Pachtverträge gekündigt wurden. Damit wurde der Gemeinschaft die Grundlage für ihre Versorgung mit hochwertigem Gemüse aus der Region entzogen und über zehn Menschen die Arbeitsplätze. Doch diese Krise führte nicht zum Aus, sondern zum Aufbruch in etwas Neues. Große Anstrengungen aller in der Gemeinschaft retteten die Initiative, es wurde übersiedelt – teils auf Eigengrund – und die Infrastruktur wie Folientunnel, Container, Kanalisation, Wege und Strom finanziert. Damit stand bald die Frage im Raum: „Wie kann der Bestand solidarischer Landwirtschaft über den Wechsel von Personen hinaus dauerhaft abgesichert und vor dem Zugriff des spekulativen Marktes geschützt werden?“ Die Antwort: Indem das Land mit einem Zweck verbunden wird. Das kann die Rechtsform Stiftung, bei der der Zweck über allem steht, da auch die in der Stiftung tätigen Organe diesem Zweck verpflichtet sind. RASENNA und GeLa Ochsenherz haben ihre Kräfte gebündelt und gründen nun gemeinsam die gemeinnützige Munus Stiftung – Boden für gutes Leben. Hier sind generelle Vision von zukunftsfähigem Umgang mit Grund und Boden mit konkretem Anlassfall zusammengekommen.

In bebauten Gebieten verursacht der Grundstücks- und Immobilienmarkt die Verdrängung von Nutzungen: Gentrifizierung. Grätzel mit schlechten nachbarschaftlichen Beziehungen und geringer Lebensqualität sind unattraktiv für diesen Markt. Initiativen leisten hier oft Pionierarbeit, um die Lebensqualität für alle zu steigern. So will es auch das CDS-Kulturhaus in und für Favoriten tun. Das CDS-Kulturhaus möchte mit dezentraler Kulturarbeit dialogische Kompetenz mit und für die Menschen vor Ort aufbauen. Die InitiatorInnen wollen damit gleichermaßen ein Zuhause für die KünstlerInnen der Freien Szene schaffen, in der jeder von der Präsenz des anderen profitiert. Beides zusammen soll einen Treffpunkt herausbilden, ein Herz, das für das Grätzel schlägt und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördert. Dafür essenztiell ist der Schutz vor Marktdruck – den unausweichlichen Gentrifizierungsprozessen –, den die Pioniere selbst auslösen (werden). Eine Verbindung des Grundstücks mit dem Zweck Kulturort, abgesichert in einer Stiftung, würde die erforderliche Eigenständigkeit und den dauerhaften Schutz vor Spekulation und Gentrifizierung schaffen.

Sozial verträgliche Bodennutzung braucht Vielfalt in Mechanismen und Struktur. Nur so kann eine vielfältige Nutzung und damit einhergehend auch Teilhabe für viele Menschen gesichert werden. Die Stadt Wien hat viel für Partizipation getan, Grundstücke (weiterhin) nur mehr im Baurecht zu vergeben, sichert der Stadt langfristig ihre Gestaltungshoheit. Die gemeinnützige Munus Stiftung möchte daneben ein Werkzeug für alle anbieten, mit dem gemeinsam Allmenden für alle Lebensbereiche geschaffen werden können, um unsere Lebensgrundlage zu sichern, zu erhalten und zu pflegen.

Im Oktober 2017 in der Dokumenation zu den IBA_Talks – Frühjahr 2017 erschienen.