FreiRad – Teilhabe ist planbar

In der Fachzeitschrift »Planerin« der SRL berichteten wir über das Projekt »FreiRad – Freiwillige Radfahrprüfung für alle Kinder«.

Kinder ändern das Stadtbild & die Infrastruktur – wenn …

Wenn morgen die Radfahrinfrastruktur optimal wäre, würden dann alle Radfahren? Wohl kaum. Es braucht Radfahrkompetenz und Mobilitätsbildung – doch ohne einladende Infrastruktur geht es nicht. Das Projekt »FreiRad – Freiwillige Radfahrprüfung für alle Kinder« untersuchte in Österreich, wie das aktuelle System wirksam weiterentwickelt werden kann: Dazu führte das FreiRad-Team Workshops mit Kindern an Volksschulen und mit verschiedenen Stakeholdern auf Landes- und Bundesebene durch, wie auch Umfragen: 1.100 Eltern, 210 Lehrer:innen und 42 Vertreter:innen aus der Verwaltung antworteten (Kampel et al. 2023; KLI.EN 2023).

Was jetzt zu tun ist, damit mehr junge Menschen im Alltag radfahren, war die zentrale Frage. Denn ein sicherer und früher Zugang zum Radfahren ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe: Der Einsatz für einladende Infrastruktur durch die Zielgruppe selbst ist für sie auch erste Erfahrung in demokratischer Teilhabe – ob Bicibus oder Kidical Mass. Dieses Momentum könnte im Planungsprozess für das Umgestalten von Straßen und Plätzen genutzt werden.

FreiRad – Jetzt handeln!

Das Projekt FreiRad fokussierte auf Kinder im Alter von 8 bis 11 Jahren und die Freiwillige Radfahrprüfung. Dazu wurde recherchiert: Wie funktioniert die Freiwillige Radfahrprüfung in verschiedenen Bundesländern in Österreich? Welche Gesetze gelten für das Radfahren für Kinder? Welche Angebote gibt es zum Lernen, Üben und Prüfen, um Radfahrkompetenz und Regelwissen aufzubauen und anzuwenden? Beides wurde für die DACH-Region, wie auch die Niederlande und Slowenien recherchiert. Ziel war es, Hürden zu identifizieren und Lösungsansätze zu finden, um diese zu überwinden.

Mit der Recherche und den Erkenntnissen aus den Workshops mit Volksschulkindern, wie auch aus der ersten Runde der Stakeholder-Workshops wurden Handlungsempfehlungen entworfen; in einer zweiten Workshoprunde den Stakeholdern vorgestellt und gemeinsam mit ihnen diskutiert und die Handlungsempfehlungen priorisiert. Das Ergebnis sind 46 Handlungsempfehlungen. Damit jede:r leicht ersehen kann was sie oder er im eigenen Einflussbereich tun kann, wurden die Handlungsempfehlungen (HE) in sechs Themen geclustert: Üben & Vorbereiten, Prüfen, Organisieren, Finanzieren, Bewusstsein bilden und Infrastruktur schaffen. Darüber hinaus wurde in einer Prioritätenmatrix abgeschätzt, wie die relativen zeitlichen Abläufe der HEs untereinander sind.

Zudem wurden die Erkenntnisse während des Projektes aufgearbeitet und als Stellungnahme in den parallel laufenden Prozess der Begutachtung des neuen Lehrplans eingebracht. Im Prozess entstand die Vision einer flächendeckenden Radfahrprüfung für alle Kinder mit vielseitigem Übungsangebot.

Infokasten: In Österreich gibt es den Masterplan Radfahren 2015-2025 (Heinfellner et al. 2015), dessen formuliertes Ziel die Verdopplung des Radverkehrs auf 13 % bis 2025 ist – aktuelle Daten, wie weit Österreich von diesem Ziel entfernt ist, sind nicht verfügbar. Im Schwerpunkt »Informationssysteme und Bewusstseinsbildung« findet sich die Maßnahme »Verkehrserziehung und Radfahrtraining«.

Gemeinsames Radfahren schafft Vertrauen

Pass auf! Warte! Bleib stehen! Wo ein Kind am Fahrrad unterwegs ist, kündigen sich die Eltern zumeist so an. Was braucht es, damit Eltern ihre Kinder radfahren lassen? Was brauchen die Kinder, damit sie Radfahren können und wollen?

Eltern, die Angst haben, mit ihren Kindern in die Schule zu radeln, könnten Polizeischutz bekommen: Das Konzept Bicibus wurde in Barcelona ins Leben gerufen: Im Stadtteil Eixample radelt er seit Oktober 2022 an jedem Schultag (Stude 2022). Bicibus bedeutet, im Radkonvoi zur Schule zu fahren. Auf festgelegten Routen und zu festgelegten Zeiten, wie bei einem Bus, wo man dazu stoßen kann, radeln Kinder und Eltern gemeinsam – begleitet von der Polizei. Es ist gemeinsame entspannte Zeit für Eltern und Kinder, und zugleich eine Demonstration für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Vielerorts gibt es Nachahmer:innen, nicht nur in Europa. In Österreich gibt es einige Initiativen, die schon als »Fahrradbus« oder »Radl-Bus« Pilotausfahrten unternommen haben – wie in Wien, Innsbruck oder auch Gaspoltshofen, einer Gemeinde mit 3.600 Einwohner:innen. »I2 Bicibusse ausweiten« ist eine HE von FreiRad und dem Thema »Infrastruktur schaffen« zugeordnet.

Wenn die Kinder dann eigenständig Radfahren können und es vielleicht uncool geworden ist, mit den Eltern in die Schule zu radeln, gibt es »Meet & Bike«, wie in Wels – gleiches Prinzip, ohne Polizeibegleitung. Festgelegte Route mit Treffpunkten zum gemeinsamen Radeln in die Schule. Was für Schulkinder funktioniert, könnte auch für Erwachsene funktionieren: Der gemeinsame Weg in die Arbeit, ins Amt oder in die große Firma am Ortsrand, oder in der Freizeit, ins Freibad oder zum Marktplatz. Der Bedarf ist da, das zeigen die vermehrten Kidical Mass, die nach dem Vorbild der Critical Mass, der kritischen Masse, entstanden sind: Kinder und ihre Eltern demonstrieren gemeinsam am Rad für mehr Sicherheit im Straßenverkehr – eine erste Erfahrung in demokratischer Teilhabe und die Kinder treten damit auch für mehr Miteinander im Straßenverkehr ein.

Den Wunsch nach mehr Sicherheit äußerten auch viele Eltern in der FreiRad-Befragung: Weniger und verlangsamten Autoverkehr im Schulumfeld und im Viertel. In der Befragung sprachen sich viele Eltern dafür aus, dass die Freiwillige Radfahrprüfung fixer Bestandteil eines Unterrichtsfaches wird. Das, was Menschen jeden Tag sehen, nehmen sie als Teil des Stadtbilds wahr und gewöhnen sich daran: Radfahrkurse mit Schulklassen, die auch eine Ausfahrt durch die Gemeinde machen, erhalten viel positive Resonanz, finden jedoch nur ein, zwei Wochen im Schuljahr und nur in wenigen Gemeinden statt. Hingegen wöchentlich oder täglich radfahrende Kinder und Eltern zu sehen, das bildet Bewusstsein und ist Radfahren üben und demokratische Teilhabe zugleich – diese prägende Erfahrung sollten alle Kinder machen dürfen. Dazu braucht es qualitätsvolle Übungsplätze, HE I1 – warum diese nicht ins Alltagsumfeld der Kinder integrieren? Warum nicht eine Teilstrecke der Bicibus- und Meet & Bike-Route dafür nutzen und den jungen Menschen für das Radfahren lernen Vorrang einräumen? All das könnte in das Weiterentwickeln der Schulwegpläne, HE I4, einfließen und diese könnten als Instrument dienen, die Verkehrsinfrastruktur im Schulumfeld kindgerechter zu machen und auch Roller- und Radparkplätze, HE I3, vor den Schulen, qualitätsvoll und in angemessener Anzahl zu errichten.

Eine bestandene Radfahrprüfung schafft Vertrauen. Mehr Vertrauen für die Eltern schafft allerdings das alltägliche Erleben der Kinder beim Radfahren. Und für die Kinder hält das Üben im echten Leben ein gesteigertes Selbstvertrauen bereit. Daher sollten auch Radfahrkurse im Straßenverkehr stattfinden, sowie der praktische Teil der Radfahrprüfung. Dazu sollten Parks und Fußgängerzonen generell für das Radfahren geöffnet werden – HEs Ü6, P4 und I7 in FreiRad. Denn es braucht Übungsrouten auf Alltagswegen, in der Nähe der Schule, die in den alltäglichen Schulweg integriert werden können. Derzeit lernen die Kinder das Radfahren oft in Parks; illegalerweise, da das Radfahren dort meist verboten ist. Die Radfahrprüfung wird zudem vielerorts nur abseits des Straßenverkehrs in sogenannten Verkehrsgärten abgehalten, die Kinder daher auf das echte Leben in einer abgeschirmten Parallelwelt vorbereitet.

Städte gestalten und dazu einladen

Was wenn Radfahren wie öffentlicher Verkehr gedacht würde? Bei Bus- und Tramlinien kann es auch keine Lücke zwischen Start- und Endhaltestelle geben. Menschen haben die Routen im Kopf oder können sie in der App nachschauen, wie beispielsweise empfohlene Schulwegrouten. Vorgegebene Routen vereinfachen den Alltag, die bestehenden Radrouten könnten hierfür weiterentwickelt werden, sodass sie lückenlos wie der öffentliche Verkehr wichtige Ziele für den Alltag verbinden.

Denn dort, wo viel geradelt wird, kann Infrastruktur unterstützen und zum Radfahren einladen: durch das Einrichten von Begegnungszonen oder Wohnstraßen, Ampeln können anders geschaltet und Schutz kann durch Tempo 30 geboten werden. Temporär. Ausprobierend. Das ist taktische Gemeindeplanung, tactical urbanism (Lydon et al. 2015; Silva 2016). Damit könnte das Momentum der zunehmenden Bicibus-Initiativen und Kidical Mass genutzt werden und in die Stadt- und Gemeindeentwicklung einfließen. Zeitnah, innerhalb von Monaten, nicht erst nach einem langen Planungsprozess von z. B. fünf Jahren (Shibayama et al. 2017). Hier heißt es schnell und günstig umsetzen: Reifen, Blumenkübel und ein bisschen Farbe lassen Raum zum Lernen und Nachjustieren, vor dem finalen Umbau. Denn Planung und Infrastrukturgestaltung entwickelt sich immer mehr vom linearen Prozess zu einem partizipativen und iterativen Prozess. So kann die Planung auch besser auf das sich stetig verändernde Mobilitätsverhalten eingehen. Und, so können Mitwirkende an den Planungsprozessen in Monaten Veränderungen selbst erleben. Diese Veränderungen bringen Leute ins Gespräch. Es sind Schlüsselfaktoren für erfolgreiche Umgestaltung (Hardinghaus et al. 2023).

Mit Piloten und Pop-ups kann man ins Tun kommen und Teile eines großen Ganzen erkennbar machen: z. B. das Mehr an Grün und Lebensqualität, dass parallel im Entwicklungskonzept der Gemeinde festgeschrieben werden soll. Als Vorbereitung für den Umplanungsprozess und späteren Umbau ist es wichtig, viele einzubinbinden und ihr Wissen zu nutzen: Von Kindern, Jugendlichen, Eltern, als auch den Radfahrlehrer:innen oder Polizist:innen vor Ort – die die Übungs- und Prüfungsrouten (weiter-)entwickeln. Die Aufgabe der Planungsverantwortlichen dabei ist, zu verbinden und die einzelnen Infrastrukturmaßnahmen als Bausteine für das große Ganze sichtbar zu machen – eine kindgerechte Stadt, die den Bewegungsdrang der Kinder würdigt und erhält.

So wie FreiRad mit Handlungsempfehlungen einen Überblick gibt, wo jede:r im eigenen Einflussbereich tätig werden kann und mit illustrierten Zukunftsstimmen das gemeinsame Ziel für viele anschaulich und greifbarer macht.

  • Beatrice Stude, Dipl.-Ing. (FH), Stadtplanerin & Aktivistin, stape e.U. Urban Consulting
  • Elisabeth Kampel, Dipl.-Ing., Klarfakt e.U. Unternehmensberatung und Umweltmanagement
  • Tadej Brezina, Dipl.-Ing., Senior Scientist, Institut für Verkehrswissenschaften, TU Wien
  • Lisa Gallian, Dipl.-Ing., Universitätsassistentin, Institut für Verkehrswissenschaften, TU Wien

Quellen

Weitere Informationen